Ausgerechnet kurz vor dem 1. Mai 2023 war der regionalen Presse zu entnehmen, dass die Stadtverwaltung Tübingen den Vertrag zum Einsammeln des Restmülls mit dem Landkreis Tübingen kündigen wollte. Bisher waren die Kommunalen Servicebetriebe Tübingen (KST) über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Entsorgung des Rest- und Biomülls beauftragt. Die ehrenamtlichen Mitglieder des DGB Kreisverbands waren entsetzt, denn erst 2011 konnte eine Privatisierung gerade noch verhindert werden.
Der Zeitdruck war enorm – gerade erst den 1. Mai hinter sich gebracht und schon musste der erste offene Brief an den Gemeinderat, die Stadtverwaltung, den Kreistag und den Landrat vom Kreisverband aufgesetzt werden! „Innerhalb von 24 Stunden lag eine Antwort des Landkreises mit einem Rechtsgutachten vor. Das spornte die Ehrenamtlichen aber nur mehr an, denn schließlich ging es bei dem Erhalt der kommunalen Müllabfuhr um gesunden Menschenverstand, nicht um Paragraphen“, so Kerstin Pätzold, DGB Regionssekretärin.
Ursprünglich sollte bereits Mitte Mai ein Beschluss im Gemeinderat fallen. Spätestens Ende Juni musste über die Beendigung des Vertrags entschieden werden. Damit sollte schon ab 2024 ein privates Unternehmen im Auftrag des Landkreises diesen Teil der öffentliche Daseinsvorsorge übernehmen .
Der DGB KV setzte auf mehrere Strategien, um dies zu verhindern.
Zum einen argumentierte er in der Presse und in weiteren offenen Briefen an den zuständigen Bürgermeister, die Gemeinderät*innen, den Landrat und den Kreistag für die Beibehaltung der Müllabfuhr als Teil einer qualitativ hochwertigen, öffentlichen Daseinsvorsorge in kommunaler Hand. Gleichzeitig wurde die rechtliche Einschätzung des Lankreises, die sich die Stadt zu eigen gemacht hatte, mit Hilfe eines Anwalts kritisch überprüft und in Frage gestellt. Tobias Kaphegyi, aktiv im KV Tübingen erinnert sich: „Es war für uns sehr erstaunlich, dass sich die Stadt so stark von der juristischen Einschätzung einer Kanzlei abhängig machte, die für den ‚Vertragsgegner‘ arbeitete.“
Durch die Initiative des DGB wurde die drohende Privatisierung der Müllabfuhr zum Stadtgespräch. Viele empörte Beschwerde-E-Mails fluteten die Postfächer der Mitglieder des Gemeinderats, kritische Leserbriefe wurden zum täglichen Lesestoff in der regionalen Zeitung. Schnell hatte der DGB die Bevölkerung und auch einige Gemeinderät*innen hinter sich. Auch die Stadtverwaltung bekannte sich zur hohen Qualität und der Beliebtheit der Tübinger Müllabfuhr – verwies aber immer auf die Sachzwänge der Finanzierung, aber auch auf die Zuständigkeit des Landkreises.
Nach den offenen Briefen konnte der DGB im Planungsausschuss des Gemeinderats und bei einer Infoveranstaltung der Stadt politisch und rechtlich Stellung zu beziehen. Parallel dazu wurden öffentlichkeitswirksam von ver.di und vom DGB Kundgebungen für die Beibehaltung der städtischen Müllabfuhr organisiert.
Warum dann nicht beibehalten ? Das war die zentrale Frage, die den Gemeinderät*innen und den zuständigen Verwaltungen gestellt wurde. Im Planungsausschuss stellt Ralf Jaster für den DGB KV klar: „Der Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge in guter Qualität und unter guten Arbeitsbedingungen ist uns als DGB Gewerkschaften enorm wichtig. Wir setzen uns aber auch im Interesse der Bürger*nnen ein, die einen leistungsfähigen und serviceorientierten öffentlichen Dienst sehr zu schätzen wissen“. In Deutschland haben die Landkreise bzw. die kreisfreien Städte den Auftrag, die Müllentsorgung zu organisieren. Die Stadt Tübingen ist Teil des Landkreises Tübingen. Beide – Stadt und Landkreis – haben seit Jahrzehnten vertraglich miteinander vereinbart, dass die Stadt Tübingen im Auftrag des Landkreises die Müllabfuhr in Tübingen organisiert.
Damit die Stadt Tübingen weiterhin die Müllabfuhr übernehmen kann, müsste sie investieren. Denn über zehn Jahre lang wurde die Müllabfuhr vernachlässigt und weder mit Maschinen, noch mit ausreichend Personal ausgestattet. Zusätzlich zu den zukünftigen Kostensteigerungen kam dann noch die rechtliche Einschätzung der vom Landkreis beauftragten Kanzlei, dass bei einer Vertragsverlängerung über einen längeren Zeitraum eine EU-weite Ausschreibung erfolgen müsste. Hier bestanden völlig unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen dem DGB-KV und der vom Landkreis beauftragten Kanzlei. Aber auch dafür wurden vom Anwalt des DGB rechtliche Möglichkeiten und Ideen vorgeschlagen, wie diese Mehrkosten aufgefangen werden könnten.
Die Gemeinderät*innen der Grünen und der FDP waren bis zum Schluss der Ansicht (und stimmten für die Privatisierung!), dass sich die städtische Müllabfuhr zu hundert Prozent über die Gebühren der Bevölkerung tragen sollte und eine gute Daseinsvorsorge nicht über Steuergelder gestützt werden darf.
Die Mehrheit des Gemeinderats stimmte am Ende dafür, die öffentlich-rechtliche Vereinbarung mit dem Landkreis vorerst nicht zu kündigen und beauftragten gleichzeitig die Stadtverwaltung damit, mit dem Landkreis über die Möglichkeit einer längerfristig tragfähigen Zusammenarbeit bei auskömmlicherer Kostendeckung zu verhandeln und ein unabhängiges Rechtsgutachten einzuholen, was sie bisher nicht hatte.
Margrit Paal, Mitglied der ver.di Bundestarifkommission öffentlicher Dienst und Vorsitzende des DGB Kreisverbands Tübingen freut sich sehr über den Erfolg. Im Vorfeld hatte große Skepsis geherrscht, ob überhaupt noch etwas zu retten sei. „Wir haben gekämpft, und wir haben gewonnen. Privatisierungspläne in den Kommunen sind auch immer ein Angriff auf den Flächentarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Insofern haben wir ein deutliches Zeichen gegen kommunale Tarifflucht und für gute Lohn- und Arbeitsbedingungen gesetzt“, so Paal.
Die Tübinger Müllabfuhr bleibt dadurch bis auf weiteres in kommunaler Hand und die Stadt hat zugesagt in diesen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge mit ihren guten Arbeitsverhältnissen und ihrem zuverlässigen Service zu investieren.