ARBEITSGERECHT

Arbeit Wertschätzen ist die beste Fachkräftestrategie.

Gute Arbeit, insbesondere gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen mit ausreichend Personal, aktive Betriebs- und Personalräte und Tarifverträge mit angemessen hohen Verdiensten bilden auch in Baden-Württemberg die Grundvoraussetzungen für mehr Fachkräftegewinnung und -bindung. Fachkräftesicherung erfordert gerade in der Transformation vor allem gute Aus- und Weiterbildung, mehr Qualifizierung und eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen.

Unsere Top Forderungen

1. Die duale Berufsausbildung stärken!

Die größten Potenziale zur Gewinnung von Fachkräften liegen in der jungen Generation. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kammern und Land sollen die qualitativen wie quantitativen Defizite des Ausbildungssystems im Südwesten tiefergehend identifizieren und geeignete Maßnahmen entwickeln, damit mehr junge Menschen eine Ausbildung erfolgreich abschließen.

Die verschiedenen prekären Schnittstellen beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung müssen überprüft und optimiert werden, damit niemand dort verloren geht. Ziel muss es sein, dass jeder interessierte junge Mensch eine Ausbildungsgarantie erhält und diese vorrangig in einer betrieblichen Ausbildung eingelöst werden kann.

2. Weiterbildung in der Transformation stärken!

Weiterbildung und Qualifizierung sind die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Fachkräftestrategie. Programme und Projekte für Weiterbildung zur Unterstützung von Betrieben müssen eine sozialpartnerschaftliche Herangehensweise stärken. Das bedeutet konkret, dass Betriebe mit Arbeitnehmervertretung (AV) bei einer Förderung durch das Land nachweisen müssen, dass die AV in die Planung und den Prozess eingebunden wurde und wird.

Ein Qualifizierungseinkommen, das im Koalitionsvertrag der Landesregierung angekündigt ist, könnte sowohl berufliche Mobilität für den/die einzelne ermöglichen als auch den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit in der Transformation. Dieses Instrument ergänzt das Qualifizierungsgeld, das der Bund einführen wird. Hierzu ist eine enge Verzahnung beider Vorhaben anzustreben.

3. Gute und chancengerechte frühkindliche Bildung

Die Landespolitik soll Ausbau und Qualitätsverbesserungen in der frühkindlichen Bildung als wichtige Grundlage für einen späteren erfolgreichen Bildungs- und Berufsweg forcieren.

Besonders Kinder mit schlechten Startchancen, für deren späteren schulischen und beruflichen Erfolg hochwertige frühkindliche Bildungsangebote entscheidend sind, sollten so früh wie möglich in den Genuss frühkindlicher Bildung kommen. Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich ein entsprechendes Angebot.
Das Land ist aufgerufen, die Kommunen dabei zu unterstützen, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder von 2026 an zu verwirklichen.

4. Höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen!

Wenn Frauen mehr Möglichkeiten haben, berufstätig zu sein oder so viel zu arbeiten, wie es zu ihrer Lebenssituation passt, leisten sie einen relevanten Beitrag zur Behebung von Engpässen auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem in den Branchen Erziehung und Pflege, in denen viele Frauen beschäftigt sind, können Kapazitäten gewonnen werden. Voraussetzung hierfür sind gesunde Arbeitsbedingungen, eine verbindliche Personalbemessung und eine verlässliche Kinderbetreuung.

Baden-Württemberg muss stärker in die sogenannten Careberufe investieren, die besser bezahlt und aufgewertet werden müssen. Bessere Arbeitsbedingungen und Personalausstattungen steigern auch die Qualität der Versorgung und der Erziehung.

5. Tarifbindung stärken, Baden-Württemberg zum Musterland für gute Arbeit machen

Gute Arbeit und die Anwendung von Tarifverträgen ist eine elementare Voraussetzung für eine langfristige Fachkräftesicherung. Im Wettbewerb um Arbeitskräfte werden diejenigen Branchen im Vorteil sein, die gute Arbeitsbedingungen aufgrund von Tarifverträgen und Mitbestimmung bieten.
Das ist schon heute so: Betriebsräte, DGB und Gewerkschaften setzen sich für gute Arbeitsbedingungen und Weiterbildungschancen ein und sichern somit Beschäftigung in Zeiten von Transformation, Globalisierung und Digitalisierung.

Sinkende Tarifbindung und Prekarisierung der Arbeit gefährden hingegen Innovationsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung im Südwesten.
Die Landesregierung soll deshalb die Anwendung von Tarifverträgen zur Grundvoraussetzung aller öffentlichen Auftragsvergaben von Land und Kommunen erklären. Die Reform des Landestariftreue- und Mindestlohngesetzes muss entsprechend gestaltet werden.

6. Für gute und sichere Arbeit - auch für ältere Beschäftigte

Gesunde Arbeit während des gesamten Arbeitslebens ist Bestandteil jeder Fachkräftestrategie. Im Interesse aller Beschäftigten soll der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz verbessert werden. Das Land Baden-Württemberg soll die staatliche Gewerbeaufsicht personell deutlich aufstocken, damit gerade Kleinbetriebe in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes stärker beraten und unterstützt werden können.
Ältere Beschäftigte über 50 Jahren sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als jüngere und treffen oftmals auf Vorbehalte bei Arbeitgeber*innen, wenn sie eine neue Stelle suchen. Dabei können sie einen wichtigen Beitrag leisten zur Fachkräfteversorgung, wenn sie Gelegenheit bekommen, sich mit ihren Erfahrungen einzubringen und auch Neues zu beginnen.

Die Arbeitgeber sollen deshalb Ältere gleichberechtigt bei Stellenvakanzen berücksichtigen und die Arbeitsumgebungen alters- und alternsgerecht gestalten.

7. Gesteuerte Fachkräftezuwanderung und bessere Integration

Mit gesteuerter Fachkräftezuwanderung können zielgerichtet Fachkräfte aus dem Ausland mit hierzulande gesuchten Qualifikationen gewonnen werden. Einen internationalen Brain-Drain wollen wir gleichwohl verhindern.

Menschen mit Zuwanderungshintergrund, die bereits in Baden-Württemberg leben, müssen besser in Ausbildung und Arbeit integriert werden und ihre Qualifikationen müssen unbürokratischer anerkannt werden. Zudem muss das Angebot an Deutschkursen ausgebaut werden.

8. Für eine aktive Wohnungspolitik

Damit die Fachkräfteversorgung nicht an fehlenden oder nicht leistbaren Wohnungen scheitert, benötigt Baden-Württemberg mindestens 100.000 neue Wohnungen im Jahr. Planungs- und Genehmigungsverfahren dazu müssen gestrafft und beschleunigt werden.

Neben privatem und genossenschaftlichem Wohnungsbau kann dieses Ziel nur mit einer aktiveren öffentlichen Wohnungsbaupolitik erreicht werden. Dazu sind erheblich mehr Initiativen und höhere Investitionen des Landes als in der Vergangenheit erforderlich, einschließlich Investitionen in die soziale und verkehrstechnische Infrastruktur.

Das Land Baden-Württemberg soll dazu eine Landesentwicklungsgesellschaft gründen, die selbst plant, baut, unterhält und vermietet und Kommunen bzw. kommunale Wohnungsbaugesellschaften unterstützt.

9. Mehr private und öffentliche Investitionen

Stärkere private wie öffentliche Investitionen in die Steigerung der Produktivität in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst beispielsweise in Forschung und Entwicklung, Elektrifizierung und Prozessoptimierungen können helfen, Beschäftigte von bestimmten Tätigkeiten zu entlasten und Fachkräftemängel zu verhindern.

Dazu soll die Landesregierung – auch zur Erreichung der Klimaziele – mit einem ‚Green New Deal‘ vorrangig in Bildung, Forschung, nachhaltigen Verkehr, erneuerbare Energie und flächenschonenden Wohnungsbau investieren.

Aber auch die Digitalisierung einer bürgernahen Verwaltung ist eine vordringliche Aufgabe: einerseits, um das Land attraktiv zu halten für Zuwanderung und andererseits, um den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber zu modernisieren.

Strategien gegen den Fachkräftemangel

Gute Arbeit, insbesondere gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen mit ausreichend Personal, aktive Betriebs- und Personalräte und Tarifverträge mit angemessen hohen Verdiensten bilden auch in Baden-Württemberg die Grundvoraussetzungen für mehr Fachkräftegewinnung und -bindung. Fachkräftesicherung erfordert gerade in der Transformation vor allem gute Aus- und Weiterbildung, mehr Qualifizierung und eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen.

Dem Sachverständigenrat (2022, S. 282; S. 285) zufolge seien aktuell „Fachkräfteengpässe in einzelnen Bereichen zu beobachten“, so dass „verbesserte Löhne und Arbeitsbedingungen zentrale Hebel“ seien, „um Arbeitskräfte zu gewinnen und optimal einzusetzen“. „Wenn Unternehmen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Personal erleben“, könne „das darauf hindeuten, dass die relativen Löhne und Arbeitsbedingungen angepasst werden“ müssten.

Mit Fachkräftemängeln drohen Arbeitgebern – wie grundsätzlich bei Arbeitskräfteknappheiten – mehr Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, steigende Lohnkosten und ggf. sinkende Gewinne. Abhängig Beschäftigten könnten dann profitieren. Wegen Knappheiten des Arbeitskräfteangebots könnte ihre individuelle wie kollektive Verhandlungsmacht in der Lohnfrage deutlich gestärkt werden.

Aus Beschäftigten- und damit auch aus gewerkschaftlicher Sicht sind die von Arbeitgeberverbänden und Wirtschaftskammern zuweilen sehr vehement vorgetragenen Warnungen vor drohenden Fachkräftemängeln insofern stets auch als interessengeleitet einzuordnen wie Seils (2018) in seiner WSI-Studie zur Fachkräftepolitik der Industrie- und Handelskammern zeigt und fragt: „Mangel an Fachkräften oder Zahlungsbereitschaft?“.

Gleichwohl haben auch die Gewerkschaften ein großes Interesse daran, mit angemessener Fachkräfteausstattung mittel- und langfristig Kapitalverwertung, Wachstum und Beschäftigungsperspektiven ihrer Mitglieder in Baden-Württemberg sicherzustellen.

Für Gewerkschaften bieten Fachkräftemängel in bestimmten Branchen wie dem Handwerk oder der Pflegebranche auch Chancen, dort mit dem Fachkräftethema mehr Betriebe und Beschäftigte wieder bzw. erstmals in die Tarifbindung zu bekommen, bessere Verdienste und Arbeitsbedingungen mit genügend Personal durchzusetzen, die Qualität und Attraktivität der Berufsausbildung zu stärken, dies mit öffentlicher bzw. politische Unterstützung zu flankieren und in bzw. an diesen Konflikten in den Betrieben selbst (wieder) zu wachsen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft beispielsweise streitet aktiv für bessere Fachkraftausstattungen in der Pflege und eine Gewerkschaftsmitgliedschaft u. a. unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“.

Die demografischen Projektionen sind abhängig von den jeweils getroffenen Annahmen und naturgemäß widersprüchlich: In ihrer Projektion der demografischen Entwicklung gehen Fuchs u. a. (2021, S. 1) von einer Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland von derzeit 47,4 Millionen Personen um 7,2 Millionen bis zum Jahr 2035 und weitere 8,9 Millionen bis zum Jahr 2060 aus.

Nach den Projektionen von Zika u. a. (2021, S. 22-24) würde der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Baden-Württemberg von 71 Prozent im Jahr 2030 auf 64,7 Prozent im Jahr 2040 zurückgehen. Die Zahl der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg würde aber nur leicht sinken von 6,35 Millionen im Jahr 2020 auf 6,29 Millionen im Jahr 2040.

Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (2022) geht mit seinem IHK-Fachkräftemonitor von erheblichen Fachkräftemängeln für Baden-Württemberg im Umfang von etwa einer dreiviertel Million Personen in den nächsten zehn Jahren aus.

Parallel zur demografischen Entwicklung ist auch von erheblichen Strukturveränderungen in Baden-Württemberg auszugehen, die auch Effekte auf den Arbeitsmarkt und das (duale) Ausbildungssystem haben. Der Anteil der Industriebeschäftigten an allen Beschäftigten würde in der Prognose von Zika u. a. (2021, S. 27) von 30,8 Prozent im Jahr 2020 auf 26,3 Prozent im Jahr 2040 fallen. Die Industriebeschäftigung würde dann in Baden-Württemberg aber immer noch erheblich höher liegen als im Bundesdurchschnitt mit 20,1 Prozent. Auch weil im selben Zeitraum „unternehmensnahe Dienstleistungen“ von 19,0 auf 21,6 Prozent zulegen sollen, kann auf Basis der Berechnungen der Autoren nicht von fundamentalen Deindustrialisierungsprozessen in Baden-Württemberg ausgegangen werden. Die Gefahr hierfür ergibt sich eher aus renditegetriebenen Unternehmensstrategien, die auf Verlagerung an sogenannte best-cost-countries setzen.

Für das Baugewerbe in Baden-Württemberg sagen sie bis zum Jahr 2040 rund 44.000 Beschäftigte weniger als derzeit voraus (S. 30). Die Entwicklung der Beschäftigung in der Bauwirtschaft und daraus abgeleitet die entsprechenden Ausbildungs- und Fachkräftebedarfe sind neben demografischen Faktoren aber auch maßgeblich beeinflusst durch zukünftige politische und regulatorische Entscheidungen über öffentliche Bauinvestitionsmittel, im Steuer- und Mietrecht und in der Zinspolitik.

Hafenrichter u. a. (2016, S. 29, S. 36) rechnen in ihre Studie zu den Substituierbarkeitspotenzialen durch Digitalisierung in Baden-Württemberg damit, dass 47,1 Prozent aller Fachkräfte davon zukünftig betroffen sein könnten. Besonders hoch seien die Substituierbarkeitspotenziale unter den Fachkräften in den Metall- und Elektroberufen.

Demografische Projektionen wie die oben genannten geben wichtige Hinweise auf mögliche Problemfelder, sie können aber weder zukünftige (welt-) wirtschaftliche noch (außen-) politische Entwicklungen sicher abbilden. Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten, Exporterfolge oder -misserfolge der baden-württembergischen Wirtschaft beispielsweise in Asien, Kriege, Handelskonflikte, Flüchtlingsströme oder Veränderungen wegen des Klimawandels könnten auch Effekte auf Wachstum und Beschäftigung in Baden-Württemberg haben.

Abseits der mit demografischen Argumenten bestrittenen Debatten lauten die zentralen Fragestellungen aus gewerkschaftlicher Sicht:

  • Wie können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Baden-Württemberg im Zuge der großen Transformation ihre Beschäftigungsfähigkeit sichern?
  • Welche Aus- und Weiterbildungsstrategien können dazu beitragen?
  • Wie können die Kosten dafür beispielsweise mit einem Qualifizierungseinkommen solidarisch aufgebracht werden?

Hier findet ihr ein Debattenpapier zu eben diesen Fragen, welches der Diskussionsgrundlage dienen soll. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Über Rückmeldung freuen wir uns.

#ÖPNVGERECHT

Für eine nachhaltige und gerechte Mobilitätswende.

Die Verbesserung und der Ausbau des ÖPNV sind für uns unabdingbar. Die Mobilitätswende muss sozial gerecht und im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden.

#BILDUNGSGERECHT

Gleiche Bildungschancen für alle.

Gute Bildung ist die Grundlage für ein selbständiges und unabhängiges Leben, in dem wir bewusst Entscheidungen treffen können. Der Zugang zu Bildung ist außerdem die zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Deswegen fordern wir: Gute Bildung muss für alle zugänglich sein!

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